Krise als politische Chance – cui bono?

In Handbüchern zum Change Management wird eine Krise als „hoher Veränderungsdruck für Top-Down Konzeption von Business Process Reengeneering“ bezeichnet, also als Chance, die Konzeption der Produktionsprozesse neu aufzusetzen. Genau das passiert doch auch auf politischer Seite, wenn man hört, dass staatliche Leistungen angepasst werden sollen, dass man versucht das angeblich dramatische und krisenauslösende Budgetdefizit maßgeblich „Ausgabenseitig“ zu sanieren.

Verschiedene Steuerungslogiken bleiben verborgen

Doch halt – genau diese Scheinvergleichbarkeit von privaten Haushalten, Unternehmen und der Öffentlichen Verwaltung führt uns doch in die Krise immer weiter hinein.  Es beginnt schon mit der Problemdefinition. Wer sagt doch gleich, dass die Budgetdefizite zu hoch sind? Ah – die Ratingagenturen, die über ihre „Einschätzungen“ bestimmen, wie viel an Kreditzinsen die Öffentliche Hand zu zahlen haben. Die ganze Krise und die Definition, ob es eine Krise ist, hat sehr viel mit der konstruierten Wahrnehmung zu tun, denn die Defizite der Europäischen Staaten waren durchaus schon höher, und damals hat niemand laut geschrien.

Interessant ist es, dass es durch den Wechsel der Wahrnehmung gelungen ist, von den real existierenden Problemen der Finanzwirtschaft abzulenken, die 2009 mit der amerikanischen Hypothekenkrise begonnen hat und in dem anschließenden Banken-Bilanzinferno weitergeführt wurde. Die Dominoeffekte der so genannten „schlechten Papiere“, in denen diese wertlosen Hypotheken versteckt waren, haben zahlreichen Glücksrittern durchaus konservativer Europäischer Geschäftsbanken ihre Ahnungslosigkeit deutlich vor Augen geführt. Doch verändert hat sich dort wenig. Staatshilfen wurden dankbar angenommen, milliardenteure „Bankenrettungspakete“ haben die privaten Kursverluste solidarisiert, im Gegensatz zu den vorherigen Kursgewinnen, die standesgemäß an die Shareholder gingen, um ihren Value zu erhöhen.

 

Eine neoliberale Ablenkung?

Denn die Krise, die das neue öffentliche Sparparadigma inklusive  Schuldenbremse evoziert hat, ist meiner Meinung nach ein Wahrnehmungsproblem. Ich will nicht unterstellen, dass ein Think Tank analog zu „Wag the Dog“ hier die neoliberalen publizistischen Nebelgranaten entwickelt hat, um eine ökonomistischen Gegenreformation im Sinne der Ideen von  Friedrich August von Hayek und Milton Friedman voranzutreiben. Viele der Europaweit und auch hier in Österreich vorgeschlagenen Maßnahmen sind aus ökonomischer Sicht allerdings sehr krude und ohne systemische Betrachtung ihrer Wirkungen geplant, wie auch eine Kommentarserie in der letzten Ausgabe der „Zukunft“ schön herausgearbeitet hat.

Ich will hier nicht falsch verstanden werden: Defizite sind per se nichts Gutes und langfristig müssen auch bei öffentlichen Budgets die Einnahmen und die Ausgaben einander die Waage halten. Auch Reformen in den Institutionen des Österreichischen Staats-, Politik- und Verwaltungsapparats sind von Nöten, genauso müssen die Aufgaben der öffentlichen Hand immer wieder den neuen Bedürfnissen angepasst werden. Allerdings müssen diese Reformen wohlbedacht unter Berücksichtigung ihrer Sekundär- (und Tertiär-, …) Wirkungen geplant werden, denn die Systeme (nicht nur das Finanzsystem, auf das sich alle fokussieren) sind höchst interdependent und vor allem rekursiv. Zudem muss die Wirkungsorientierung auch außerhalb des Finanzsystems betrachtet werden, das offenbar inzwischen stark von der Politik entkoppelt ist.

Lernen Sie Ökonomie, Herr Politiker

Das möchte ich in Abwandlung des legendären Kreisky-Zitat unseren MinisterInnen und ihren Kabinetten zurufen, wenn sie in ihren Klausuren die Sparziele gemeinsam aushandeln. Die Mechanismen, die in den 1970ern und 1980ern eingesetzt wurden, um die Wirtschaft anzukurbeln stammten eher aus dem Keynesianischen Tool-Portfolio. Stephan Schulmeister, ein österreichischer Ökonom schlägt als Lösung einen „New Deal für Europa“ vor. Als Horror-Szenario seines leicht zu lesenden Büchleins skizziert er: „eine gleichzeitige und massive Haushaltskonsolidierung in allen EU-Ländern“, also jenes Szenario, das im Moment gerade eingetreten ist.

Was kann man machen?

Einerseits denke ich, dass es einen breiten Diskurs braucht, um gemeinschaftlich Vor- und Nachteile von Struktur- und Aufgabenreformen des Staates zu diskutieren, doch dafür bedarf es einer neuen politischen Kultur der Partizipation. Neben den finanziellen Steuerungszielen erscheint mir das Commitment zu langfristigen politischen Zielen wichtig.  Beispielsweise die gemeinsame Vereinbarung den Gini-Index bis 2020 um 2 Prozentpunkte zu senken, oder konkrete Ziele hinsichtlich der Integration ausgegrenzter sozialer Milieus.

2 Kommentare

  1. Lieber Gerald, ist aus dem Satz „Lernen Sie Ökonomie, Herr Politiker“ etwa der Ruf nach Technokraten heraus zu lesen? Technokraten wie Papadimos und Monti welche sein sollen? Was sollen diese Ökonomen denn besser machen als bspw. eine Promovierte Physikerin, wie es Frau Merkel ist? Nichts! Wir haben in der Vergangenheit (nicht erst seit 2008) gesehen, dass auch Wirtschaftsexperten und -weisen nur zufällig punkt genau treffende Handlungsoptionen ausmachen konnten. Es gab und gibt immer Nebenwirkungen, die Max Weber einstmals als nichtintendierte Folgen zielgerichteter Handlun bezeichnete. Eben diese Folgen machen die Politik zu einem andauernden „durchwurschteln“, das zwar auf breite Partizipation angewiesen ist (da hast du Recht), diese Partizipation allerdings mehr über Symbolik als über fachlichen Diskurs garantiert

    Dazu Wolf Wagner „Wie Politik funktioniert“ http://www.thueringen.de/imperia/md/content/lzt/wie_politikfunktioniert.pdf

    Gruß
    Hannes

    1. Nein Hannes, da kann ich Dich beruhigen, so war das nicht gemeint.
      Bruno Kreisky, der legendäre Österreichische Kanzler hat einst einen Journalisten mit den Worten „Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter“ abgekanzelt, als er eine kritische Frage angesichts der drohenden politischen Eskalation gestellt hat.
      Nichts liegt mir ferner, als eine „ExpertInnenregierung“ zu fordern, denn das wäre die endgültige Kapitulation der Politik vor der „normativen Kraft des Faktischen“, die uns die Ökonomie ja dank persistenter und alles durchdringender neoliberaler Paradigma vorgaukeln will. Ich fordere die Männer und Frauen an den Rudern unserer Volkswirtschaftlichen Galeeren allerdings auf, zumindest die Grundlagen der Navigation zu erlernen, um im nautischen Bild zu bleiben, bevor sie überlegen, wie man den Hafen erreicht.

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