Motivationen und Konflikte zwischen Freiwilligen und Angestellten?

Nach Badelt (1999, Seite 100) nimmt das Phänomen „ehrenamtliche Arbeit“ einen speziellen Stellenwert in der sozialwissenschaftlichen NPO-Forschung ein. Systemtheoretische Analysen ergeben, dass NPOs vorwiegend als wissensbasierter Oranisationstypus existieren, intermediär zwischen dem machtbasierten politisch-administrativen und dem primär geldbasierten Wirtschaftssystem. (Zauner, 1999 Seite 133).

Als kulturspezifische Verhaltensmuster in NPOs nennt Zauner (1999, Seite 125) eine Personalisierungstendenz, besondere Harmonieneigung, Egalitätsneigung und Informalitätstendenz. Diese Faktoren stehen in starker Konkurrenz zu den im „For-Profit-Sektor“ üblichen kulturellen Werte, die ja durch starke Konkurrenz und Unterscheidung geprägt sind. Auch Adam Smiths Standardwerk „Reichtum der Nationen“ definiert ja den optimalen (gesellschaftlichen) Wohlstand durch das individuelle und egozentrische Nutzenmaximieren und die systemimmanente optimale Ressourcenallokation, die daraus erfolgt. (vgl. Tiwari, 2003 Seite 4ff). NPOs obiger (und folgender) Definitionen fänden in Smiths Nationalökonomischen Theoriegebäude – wie auch in den volkswirtschaftlichen Theorien anderer „klassischer Ökonomen“ – wohl keinen Platz.

Nach Gubitzer (2006, S. 19), die in Ihrem alternativ-politökonomischen Ansatz eines fünfteiligen Sektorenmodells der Gesamtwirtschaft die verschiedenen Sektoren anhand ihrer Rationalitäten definiert, wird der Non Profit-Sektor durch verschiedene Rationalitäten – vor allem politisch-ethischer Natur geprägt. Eine Unterscheidung zwischen NGO – Non-Governmental-Organisations und NPO – Non-Profit-Organisations wird von der Autorin nach der Tätigkeit der Organisation getroffen: während NPOs als Dienstleister lediglich nicht nach Profitmaximierenden Kriterien arbeiten und ihre erwirtschafteten Gewinne für Organisationszwecke verwenden, sind so genannte NGOs primär im Bereich der Advocacy, der Bildung und der Information tätig und erbringen dafür keine direkten Dienstleistungen.

Richtet man nun den Fokus der Betrachtungen vom makroskopischen Sektorenmodell und der Nationalökonomie hin zu den mikroökonomischen Perspektiven der einzelnen Akteure, also den Freiwilligen, den Stakeholdern der Organisationen und deren KundInnen und KlientInnen, so kommt man hinsichtlich der Fragestellungen zu anderen Themen:

Bezüglich der Motivationen für freiwillige unbezahlte Arbeit unter Jugendlichen liefert eine jüngere Schweizer quantitative Studie (Rehberg, 2005) folgende Ergebnisse: Die Motivationsfaktoren treten zumeist als Kombination von „Etwas Positives für andere erreichen“, „Das Streben nach Neuem“ und „Die Suche nach dem Selbst“ auf. Durch den quantitativen Ansatz der Studie wurden kaum soziale Phänomene und Interdependenzen überprüft.

Eine weitere Arbeit von Ziemek (2006) versucht den Ansatz über die Modellierung von Motivationsfaktoren anhand dreier mikroökonomischer Modelle, die empirisch vergleichend auf ihre Relevanz hinsichtlich der tatsächlichen Motive für Freiwillige überprüft wurden. Aus der Arbeit geht hervor, dass der Freiwilligenbereich in den NGOs keine homogene Grundgesamtheit ist – daher sind die verschiedenen Motive zwischen den einzelnen NGOs und nach den soziographischen Merkmalen unterschiedlich und damit schlussendlich auch unvergleichbar.

Gerade die größte Österreichische Organisation in diesem Sektor der Volkswirtschaft – das Österreichische Rote Kreuz – stellt mit über 47.000 freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und jährlich über 10 Millionen ehrenamtlich geleisteten Stunden (bilanz.roteskreuz.at, 2006) wohl eine für die Feldforschung besonders interessante Herausforderung dar. Eben zitierten über 47.000 Ehrenamtlichen stehen insgesamt rund 4.900 hauptberufliche MitarbeiterInnen und ungefähr 3200 Zivildiener gegenüber.

Das Österreichische Rote Kreuz definiert in seinem Freiwilligenleitbild (2001) ganz bewusst einen sehr offenen Zugang zu verschiedenen Motivationsebenen der freiwillig tätigen:

Neben dem Wunsch zu helfen setzen unsere MitarbeiterInnen ihre Talente ein um sich selbst zu verwirklichen, ihre persönliche Kompetenz zu erweitern, Aufregendes zu erleben und gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten. Basis dafür bilden eine funktionierende, durchschaubare Struktur und kompetente Führung und Unterstützung. Sie erwarten sich von der Führung vor allem fachliche und soziale Kompetenz, die Anerkennung ihrer Leistungen innerhalb der Organisation und eine Kultur, in der gemeinsame Ziele angestrebt werden und sie sich wohlfühlen. Diese Kultur findet ihren Ausdruck auch in einer gemeinsamen Identität. Durch ihre Mitarbeit bringen sie neben ihrem Können und ihrem Potenzial auch ihre Funktion als Meinungsbildner und Multiplikatoren ein und sind somit ein Mosaikstein im Netzwerk der Hilfe.

Bezüglich der hier angesprochenen Führungsstruktur und ihre Rezeption unter den Mitarbeitern existiert für den Bereich des Bundeslandes Niederösterreich vom Autor eine quantitative Studie (Czech, 2001) basierend auf Daten einer Mitarbeiterbefragung. Hierbei werden in vielen Bezirken – zumindest aus der Betroffenenperspektive – grobe Mängel allerdings auch große Unterschiede hinsichtlich der Qualität und der Effizienz der Führungs-Strukturen im Roten Kreuz deutlich. Auch zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Umfrageteilnehmer hauptberufliche und freiwillige Mitarbeiter, vornehmlich im Rettungsdienst bestanden manifeste Unterschiede.

Die meisten Forschungs- und Erhebungsanstrengungen des Österreichischen Roten Kreuzes waren bisher auf die Außenwirkung fokussiert. Spezifische Studien zur Marke und den Markenwerten der Hilfsorganisation aus externer Sicht, aus Kundensicht oder aus Sicht der Auftraggeber sind oftmals durchgeführt und (zumindest intern) auch publiziert worden.

Mein Forschungsinteresse schließt nun an die quantitative Studie von 2001 an und soll auf die Beziehungen und Motivationen der Mitarbeiter im speziellen eingehen. Gerade die Soziostruktur einer Organisation, bei der die MitarbeiterInnen regelmäßig großer körperlichen Anstrengungen – aber noch viel mehr großen psychischen Belastungen – unterworfen sind, wie das im Rettungsdienst laufend passiert, sollte besonders dazu neigen, Konflikte zu provozieren und auszutragen. Inwiefern die Ansätze Zauners (1999) hinsichtlich der besonderen Harmonieneigung auch unter diesen Umweltbedingungen gelten, soll ebenso Gegenstand der Betrachtungen sein, wie die Rezeption der Führungsstrukturen im unmittelbaren (eigene Dienststelle), im mittelbaren (Landesverbandsstrukturen), aber auch im entfernten Wirkungsbereich, zum Beispiel im Generalsekretariat des Österreichischen Roten Kreuzes und deren Auswirkungen auf die (freiwilligen oder hauptberuflichen) Mitarbeiterinnen und ihre Sozialbeziehungen bzw. ihre Motivation zur weiteren Mitarbeit.

Das Forschungsthema lautet daher:
Beziehungs- und Motivationsebenen zwischen freiwilligen und hauptberuflichen MitarbeiterInnen bei einer humanitären Non-Profit-Organisation am Beispiel des Österreichischen Roten Kreuzes

Literatur:

Adams David (1970): The Red Cross – Organisational Sources and Operational Problems In: The American Behavioral Scientist 13, Seite 392ff

Badelt Christoph (1999): Der Nonprofit-Sektor in Österreich in: Badelt Christoph (Hrsg.): Handbuch der Nonprofit Organisation, Schäfer Poeschel, Stuttgart: Seite 61 – 83

Badelt Christoph (1999): Zwischen Marktversagen und Staatsversagen? NPOs aus sozioökonomischer Sicht in: Badelt Christoph (Hrsg.): Handbuch der Nonprofit Organisation, Schäfer Poeschel, Stuttgart: Seite 97 – 118

Czech Gerald (2001): Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung 2001. Rotes Kreuz Niederösterreich, Tulln, 2001

Gubitzer Luise: Wirtschaft ist mehr! In Widerspruch 50/06 (2006) Seite 17 – 29

Österreichisches Rotes Kreuz (2001): Leitbild für Freiwilligenarbeit, Wien; http://www.roteskreuz.at/1281.html

Rajnish Tiwari (2003): Die unsichtbare Hand: Eine kritische Analyse des Ansatzes Adam Smiths zur Lösung Doppelter Kontingenz, Uni Hamburg, Hamburg: http://www.rrz.uni-hamburg.de/RRZ/R.Tiwari/

Rehberg Walter (2005): Altruistic Individualists: Motivations for Iternational volunteering Among Young Adults in Switzerland, In: International Journal of Voluntary and Nonprofit Organisations, Vol 16, No 2, Seite 109 -122

Zauner Alfred (1999): Von Solidarität zu Wissen. Nonprofit Organisationen in systemtheoretischer Sicht in: Badelt Christoph (Hrsg.): Handbuch der Nonprofit Organisation, Schäfer Poeschel, Stuttgart: Seite 75

Ziemek Susanne (2006): Economic analysis of volunteers’ motivations – A coss-country study In: The Journal of Socio-Economics, 35, Seite 532-555

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