Loslassen lernen

Anlässlich der re:campaign 2013 wurde der Leitfaden „Social Media für NonProfits“ neu aufgelegt. Ich wurde eingeladen, das Editorial zum Thema Social Media Strategien zu schreiben, das ich gerne hier auch poste.

Social Media Strategien für Nonprofits.

Von Gerald Czech

 

Gerald Czech ist Sozioökonom, Einsatzmanager und Leiter New Media im Österreichischen Roten Kreuz. Als langjähriger Ehrenamtlicher im Rettungsdienst kennt er Nonprofit-Organisationen aus allen Perspektiven.

 

Als MitarbeiterIn von NPOs, NGOs, Stiftungen und Initiativen – im folgenden als “Nonprofits” vereinfacht – ist man gewöhnt anzupacken, wenn in der Gesellschaft etwas nicht klappt, sich selbst und persönlich einzusetzen, wofür man steht. Jetzt, hier und sofort. “Ich weiß ja woran es krankt, wer meine Hilfe braucht, wen ich unterstützen kann!”

Loslegen, jetzt, sofort!

Schon die legendären Gründer und Gründerinnen der bekannten Initiativen des dritten Sektors haben gezeigt, wie man sozusagen „hands-on“ seine Einstellung durch faktisches Handeln zeigt: Irgendwie steckt in vielen von uns ein kleiner Henry Dunant (Begründer des Int. Roten Kreuzes, Anm. d. Red.), der aktionistisch helfen will, weil eben Hilfe benötigt wird. Aufgrund unserer Erziehung, unserer Einstellungen und Denkmuster wissen wir meist spontan, was zu tun ist: Wer friert, braucht eine Decke; wer durstig ist, braucht etwas zu Trinken; wenn es brennt, dann löscht man.

Know me, like me?

Komplexer wird es, wenn wir gemeinsam helfen wollen – arbeitsteilig in Form einer Organisation, zum Beispiel als Nonprofit. Da beginnt es plötzlich komplex zu werden. Was für einen selbst gilt, funktioniert gemeinsam nicht mehr: Auf einmal brauchen wir ein einheitliches Verständnis für die Aufgaben – am besten gemeinsam vereinbart und niedergeschrieben. Kurz: Wir brauchen eine Strategie! Gleiches gilt für das Engagement im „virtuellen Raum“. Als Einzelperson bei Facebook & Co. bin ich  unverwechselbar und authentisch, ich habe ein persönliche  Freunde, Bekannte, Verwandte. Und sogar Menschen, die mich nicht mögen, kennen mich zumindest. Wer aber ist die Organisation als Person?

Strategie 1.0

Wie kommt man nun zu einer Strategie, etwa im Social-Media-Bereich? Der Autor Philip Kotler beispielsweise empfiehlt – was soll ein Marketing-Guru anderes sagen? – sich den Markt gut anzusehen (Segmentation) und im Anschluss seinen Zielmarkt zu definieren (Targeting), um sich dort dann richtig zu positionieren. Doch da sind wir beim Kernproblem im Nonprofit-Bereich: Meist gibt es keine Märkte und die Kunden sind auch nicht das, was sie im Profitbereich sind. Dann bliebe uns ja nur mehr die Positionierung als Strategie? Zudem sind die Interessensgruppen von Nonprofits deutlich komplexer strukturiert, als etwa Kunden, die einfach eine Seife kaufen wollen.

Sozialer Wandel 2.0

Zudem ist die mediale Realität im Social Web eine andere. Ich denke, die Dynamik der neuen Medien hat auch die Kommunikationskultur umgestellt, oder ist zumindest mittendrin: Wir kommunizieren heute anders als noch vor zehn Jahren. Die Breite der angebotenen Informationen und die ständige Verfügbarkeit auf tausenden Kanälen verändert das Konsumverhalten um 180 Grad. Als Medienkonsument suche ich mir jetzt selbst aus, was mich interessiert, meine sozialen Netze stellen mir die Informationen “per Freundschaft gefiltert” zur Verfügung. Der Absender hat in der Regel keinen direkten Einfluss mehr darauf, welche Information zu welcher Zeit an mich dringt.

Beziehung statt Umfeld

Bevor ich im Social Web loslege, sollte ich wissen, wo ich hin will. Anders als in den Klassikern der Management-Strategie sehe ich die Umgebung nicht als statisch und unbeeinflussbar. Im Falle einer Social-Media-Strategie sind dies nämlich die sozialen Medien selbst. Und genau dort wollen wir ja ansetzen und ändern. Genauso wirken die sozialen Netze dann direkt in meine Organisation und verändern auch dort Einstellungen, Werte und schließlich die Menschen. Eigentlich ist es eher wie in einer Partnerschaft, in der die wechselseitige Beeinflussung wichtiger Teil der Beziehung ist.

Teil der Kommunikationskultur statt nur ein weiteres Medium

Social Media – im deutschsprachigen Raum fast schon gleichbedeutend mit dem übermächtigen Netzwerk Facebook – sind  fester Bestandteil junger, urbaner Kommunikationskultur. Für die Kids, Teens und Twens ist das Netz längst realer Raum, nicht mehr nur ein virtuelles Extra.

 

Soziale Medien können aufgrund der starken Nutzung schlicht als weitere Möglichkeit der Kommunikation zwischen Menschen verstanden werden. So wie einst das Telefon die Möglichkeiten des Informationsaustauschs in räumlicher Hinsicht verändert hat. Nicht im Sinne eines Massenmediums, wie das für Radio oder das Fernsehen gilt. Social Media sind Kanäle der Kommunikation für Menschen, die dort private und unverbindliche Informationen austauschen, wie beim Smalltalk oder am Stammtisch. Und virtuell ist in diesem Zusammenhang lediglich der Ort der Kommunikation, denn die Informationen sind real und faktisch.

Hierarchien und Social Media

Gerade Nonprofits haben als Organisationsform oftmals eine starre und klassische Hierarchie. Pyramidenartige Organigramme zeigen – für jedermann leicht erkennbar – die Über- und Unterstellungen der MitarbeiterInnen. Klare Zuständigkeiten für fest umrissene Teilaufgaben des Organisationshandelns helfen, Eindeutigkeit zu schaffen. Eine Eindeutigkeit die im komplexen Umfeld ja auch notwendig ist: Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es so oft viel leichter, ihren Aufgaben nachzukommen. Auch für die oft als Vereine organisierten Nonprofits wird es einfacher, denn Vorstand, Geschäftsführung oder Präsidium müssen klare Aufgaben haben.

Bereits kleinere Organisationen entwickeln recht rasch bürokratische Strukturen, um die tägliche, für die Gesellschaft wichtige, Arbeit zu bewältigen.

Social Media aber sind egalitäre Netzwerke, die Menschen ohne unmittelbaren Statusbezug miteinander vernetzen. Der Portier ist genauso Freund wie die Präsidentin; die ehrenamtliche Mitarbeiterin in Hamburg ist genauso Freundin, wie der angestellte Geschäftsführer in München. Informationen, die hier ausgetauscht werden, sind daher ganz anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen als die „internen Informationen“ im Rahmen der Organisationsbürokratie.

 

Über Jahre und Jahrzehnte wurde nun in unseren Organisationen vermittelt, das es klare Zuständigkeiten gäbe, beispielsweise für die Kommunikation nach außen. Und genau diese Art der Kommunikation verträgt sich schwer mit der Unmittelbarkeit und Authentizität der sozialen Netze.

Mehrdimensionale Organisationen als Lösung?

So wie das in komplexen föderalen NPOs seit vielen Jahren gelebte Praxis ist, ist es von Seiten der Führungskräfte wichtig, sich als Ermöglicher zu sehen – und nicht länger nur als Steuermann. Viele unterschiedliche Organisationsformen finden ja heutzutage gleichzeitig statt, diese werden nur meistens nicht im Organigramm abgebildet, denn das ist nur flach und zweidimensional. Wie man für einzelne Probleme Projektteams spontan aus der Organisation bildet, beispielsweise für eine Veranstaltung, eine Festschrift, oder eine neue Kampagne, so kann man sich eine Organisation 2.0 vorstellen, die themen- oder zeitspezifisch, oft spontan, entsteht.

Statt des Orga-Komitees für den Ball gibt es eine Facebook-Gruppe. Für die gemeinsame Erstellung der Social Media Policy ein eigenes Wiki. Eine adäquate Möglichkeit des Andockens an die klassische Organisation ist dafür zwar notwendig – dem Ermöglicher an der Spitze (oder seinem Social Media-Verantwortlichen) wird dazu aber bestimmt etwas Adäquates einfallen, genauso wie das bei realen Projektgruppen auch der Fall sein muss.

Themen und Menschen statt Marken

Die Filter dersozialen Netzwerke und die Suchmaschinen kennen unsere Organisationen nicht. Egal, ob wir Stiftung sind oder Verein: Die Marken sind im Normalfall nicht das, was die User/in sucht oder braucht. Niemand sucht nach dem Roten Kreuz, wenn er einen Erste-Hilfe-Kurs braucht, niemand automatisch nach Amnesty International, weil sie oder er sich für Menschenrechte interessiert. Gesucht sind heutzutage also Themen – und immer weniger große “Marken”, die vormals bestimmte Inhalte klar besetzten.

Die weiteren Bausteine der sozialen Netze sind die Individuen, die hinter den Accounts stehen und die diese Kommunikation aufrechterhalten. Genau diese Menschen sind ja oftmals auch unser Kapital als Nonprofit. Unsere Freiwilligen, Unterstützer/innen, Spender/innen und alle die sich mit unseren Themen identifizieren wollen genau das, wofür sie eintreten, auch nach außen kommunizieren. Sie wollen mitdiskutieren, wenn es um „ihren Verein” geht. Hier liegt es an uns, diese Diskurse einerseits zu ermöglichen als auch die Ergebnisse und Informationen in unsere Nonprofit 2.0 wieder einzuspeisen.

In Gesellschaft statt daheim?

So wie sich die reale Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, verändert sich auch die digitale Landschaft. Hat sich in den vergangenen 50 Jahren der reale Trend vom gemeinsamen Glück im trauten Heim in Richtung öffentliches Gesellschaftsleben verändert, so ändert sich die virtuelle Welt: Von den „privaten“ Webpages, die per Suchmaschine durchforstet werden, in Richtung „öffentliche“ soziale Netzwerke, auf denen die Themen und Anliegen von Organisationen präsentiert werden. Userinnen und User nutzen soziale Netzwerke und kommen nicht aktiv auf die Webpage einer Organisation, außer sie sind (potenzielle) “Kund/innen“ unserer spezifischen Waren, Dienstleistungen und Angebote.

Daher ist es einerseits wichtig, mit der öffentlich zugänglichen  Webpage eine Basis und Anlaufstelle zu haben und andererseits die Inhalte und Themen auch im Social Web zu positionieren – und die Diskussion  darüber anzuregen. Diese beiden Kanäle ergänzen einander, denn die Webpage dient als “Bauchladen”, als Katalog oder Broschüre einer Organisation und ihrer ”Dienstleistungen”. Während Online-Kanäle als diskursive Ergänzung funktionieren, wo über diese Inhalte, aber auch über die Organisation als Ganzes diskutiert wird.

Mit den Schwingen der Crowd?

Doch es geht nicht nur um die Social Networks. Neue Möglichkeiten des Fundraisings und der Mobilisierung ermöglichen, diesen Diskurs auch in praktischen Handlungen umzusetzen. Konkrete und abgegrenzte Projekte und Initiativen können so einem breiteren Zielpublikum näher gebracht werden. So lohnt sich statt der allgemeinen Spende vlt. Die Darstellung eines Projekts auf einer “Crowdfunding-Plattform”. Andere Informations-Konsument/innen können über “Crowdsourcing” als Freiwillige oder ehrenamtliche Wissensarbeiter gewonnen werden. Das Gute daran: Immer haben die Unterstützer über dialogische Social Media die Möglichkeit, auch Botschafter/innen des eigenen Themas zu werden.

Wer kennt seine Wirkungsschöpfungskette?

Ähnlich wie das im Profitbereich schon vor Jahren passiert ist, heißt es für uns als Nonprofits 2.0 nun, die Kernthemen und Aufgaben unserer Organisation zu definieren und Schritt für Schritt zu überlegen, ob nicht einzelne Aufgaben auch virtuell, in der Crowd oder im Netz erledigt werden können. Ein integriertes „Nonprofit Supply Chain Management“ sozusagen, wobei die Wertschöpfungskette hierbei eher als “Wirkungsschöpfungskette” interpretiert werden sollte. Die Nonprofit 2.0 erledigt nicht mehr alle Tasks selbst, sondern weiß, welche Aufgaben sie selbst mit dem höchsten sozialen Impact erledigen kann – und welche Aufgaben besser von anderen erledigt werden. Es geht also ums Loslassen. Auch das ist letztlich Teil einer Social Media Strategie. Und vielleicht die wichtigste Ausgangsfrage von allen.

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